Die Struktur männlicher Herrschaft

Von Johanna Klages

Bourdieu: „Ich habe auch immer in der männlichen Herrschaft und in der Art und Weise, wie sie aufgezwungen und erduldet wird, das Beispiel schlechthin für diese paradoxe Unterwerfung gesehen, die ein Effekt dessen ist, was ich symbolische Gewalt nenne. Es gilt die Prozesse zu enthüllen, die für die Verwandlung der Geschichte in Natur und des kulturell Willkürlichen in Natürliches verantwortlich sind.“

Zur Vorgehensweise:

Da wir – Frauen wie Männer -, Teil unseres zu untersuchenden Gegenstandsbereich sind, denn auch wir Frauen selbst haben in Form von unbewussten Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die historischen Strukturen der männlichen Ordnung verinnerlicht – so besteht Gefahr zur Erklärung der männlichen Herrschaft, dass auf Denkweisen zurückgegriffen wird, die selbst Produkt dieser Herrschaft sind. Um aus diesem Zirkel herauszukommen, müssen wir eine Strategie zur Untersuchung der „Verstandeskategorien“ oder Klassifikationsmerkmale“ finden, mit denen wir die Welt konstruieren und die aus dieser Welt stammen.

In einer Art Laborversuch könnte die ethnographische Analyse, die objektive Strukturen und kognitive Formen einer besonderen geschichtlichen Gesellschaft zutage fördern – exotisch und nah, fremd und vertraut zugleich: die Berber in der Kabylei – als „Gegenstand“ einer Sozioanalyse des androzentrischen Unbewussten, die eine Objektivierung der Kategorien des Unbewussten durchzuführen zulässt.

Anlässlich seines Aufenthalts in den 1950er Jahren in Algerien (damals noch eine französische Kolonie), wo Bourdieu hatte als Rekrut seine Wehrpflicht absolvieren musste, blieb er nach dem Ende seines Wehrdienstes in Algerien – fasziniert von der ihm damals ganz „fremden“ Gesellschaft – noch einige Zeit, „konvertierte“ (Bourdieu) vom Studium der Philosophie zur Soziologie/ Ethnologie und entdeckte abseits der kolonialisiertenen Stadtviertel eine abgeschieden lebende Gesellschaft von Bergbauern in der Kabylei, die noch kaum oder gar nicht mit „moderner“ Zivilisation in Berührung gekommen waren.

Einen ethnologischen Umweg über eine fremdartige Tradition wählen, heißt in der Regel das Verhältnis der eigenen (trügerischer) Vertrautheit aufzubrechen, das uns mit unserer eigenen Tradition verbindet. Bourdieu lernte die Sprache und studierte ihre Art zu leben und entdeckte erstaunt, daß diese Bergbauern eine gesellschaftliche Lebensweise entwickelt hatten, die durch und durch nach androgynen Prinzipien strukturiert ist – quasi eine „Archäologie unseres Unbewussten“!

Eine überaus wichtige Entdeckung war, dass das Zusammenspiel von den konkreten biologischen Erscheinungsformen und sich deren höchst reale gesellschaftliche Manifestationen offensichtlich durch eine lang andauernde kollektive Arbeit einer Vergesellschaftung des Biologischen zur Biologisierung des Gesellschaftlichen in den Körpern und Köpfen herausgebildet hatte: also eine Verkehrung der Beziehung von Ursache und Wirkung zur Folge hatte. (S.11)

Weil sowohl die Konstanten als auch die Invarianzen, die den Mythos vom „ewig Weiblichen“ zu wahren scheint, ist es wichtig, eine vollständige Revolution der Herangehensweise zu wählen und hierfür verspricht, die Methode der Ethnologie (also das Studium einer fremdartigen Gesellschaft) zu wählen, die verspricht, aufschlussreiche Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Nur so lassen sich gerade die Invarianzen, trotz geschichtlichen und gegenwärtigen Veränderungen in den Lebenssituationen von Frauen und den Herrschaftsverhältnissen zwischen den Geschlechtern, beobachten und analysieren; nur so können die geschichtlichen Mechanismen und gesellschaftlichen Institutionen zum Gegenstand der Analyse gemacht und schließlich zum Gegenstand der Erkenntnis werden.

Eine solche Erkenntnis bliebe nicht ohne Folgen für die Entwicklung von Strategien, insbesondere für praktisches Handeln und schließlich auch zur Veränderung der materiellen und symbolischen Kräfteverhältnisse.

Obgleich sie wenig verschwenderisch ist, was Rechtfertigungsdiskurse angeht, beruft sich die kabylische Tradition zur Legitimierung der Positionen, die in den beiden Geschlechtern durch die geschlechtliche Arbeitsteilung und durch die geschlechtliche Teilung der Produktions- und Reproduktionsarbeit in der gesamten sozialen und darüber hinaus kosmischen Ordnung zugewiesen werden, auf einen Ursprungsmythos:

„Am Brunnen (tala) ist der erste Mann auf die erste Frau getroffen.Sie schöpfte gerade Wasser, als der Mann anmaßend, auf sie zutrat und zu trinken begehrte. Aber sie war zuerst angekommen, und auch sie hatte Durst. Ungehalten stieß der Mann sie an. Sie tat einen falschen Schritt und fiel zu Boden , und der Mann sah, dass ihre Schenkel anders waren als seine. Vor Verblüffung blieb er regungslos stehen. Aber die Frau gewitzter als er, brachte ihm vieles bei. ‚Leg dich hin, ich zeige dir wozu die Organe gut sind.‘ Er streckte sich am Boden aus, sie streichelte seinen Penis, der doppelt so groß wurde, und legte sich auf ihn. Der Mann empfand großes Vergnügen. Um dasselbe wieder tun zu können, folgte er der Frau überallhin, denn sie wusste mehr als er, wie das Freuer angezündet wird usf. Eines Tages sagte der Mann zur Frau: ‚Ich möchte dir auch etwas zeigen; ich weiß auch etwas. Leg dich hin und ich lege mich auf dich.‘ Die Frau legte sich auf den Boden, und der Mann legte sich auf sie.

Er empfand dasselbe Vergnügen und sagte zur Frau: ‚Am Brunnen bist du es die das Sagen hat, im Haus bin ich es. Im Kopf das Mannes sind es immer die letzten Worte, die zählen, und seitdem leieben es die Männer, auf die Frauen zu steigen. So kam es, dass sie die Ersten wurden und dass sie regieren müssen.

Oben oder unten, aktiv oder passiv, diese parallelen Alternativen beschreiben den Geschlechtsakt als ein Herrschaftsverhältnis. Sexuell besitzen, das heißt beherrschen, im Sinne von einer Macht unterwefen, aber auch von anführen, ausnützen, oder „hereinlegen“.

Bourdieu gewann bei seinen Studien des gesellschaftlichen Daseins der Bergbauern in der Kabylei die verblüffende Erkenntnis, daß ihr gesellschaftliches Leben in seiner Grundstruktur dem unsrigen heute ziemlich ähnlich ist:

Die Frauen sind für das Haus, das heißt die Tiere – das „Feuchte“ (die Geburten), die Pflanzen, den Garten zuständig. Die Männer sind draußen, beackern die Felder, ihr Arbeitsbereich ist das „Trockene“. Es scheint, als wäre diese gesellschaftliche Organisation von Natur eine gegebene. Ist das so? Bourdieu schlussfolgert aus dieser Beobachtung: „Das Zusammenspiel der biologischen Erscheinungsformen und deren höchst realen Auswirkungen, die eine lang andauernde kollektive Arbeit der Vergesellschaftung des Biologischen und der Biologisierung des Gesellschaftlichen in den Körpern und Köpfen gehabt hat, hat eine Verkehrung der Beziehung von Ursachen und Wirkungen zur Folge. Es lässt eine naturalisierte gesellschaftliche Konstruktion (die „Geschlechter“ als vergeschlechtliche Teilung erscheinen, die sowohl der Wirklichkeit als auch der Vorstellung von Wirklichkeit zugrunde liegt und die sich zuweilen auch der forschung aufzwing

Wenn es also richtig ist, dass das Prinzip der Aufrechterhaltung der Herrschaftsverhältnisse nicht eigentlich oder hauptsächlich an einem der sichtbarsten Orte seiner Manifestation „dem Haushalts“ liegt, sondern vor allem in gesellschaftlichen Instanzen wie der Schule und dem Staat, wo die Herrschaftsprinzipien, die sich noch im privatesten Bereich auswirken, entwickelt und aufgezwungen werden – dann wäre das ein riesiges Aktionsfeld für feministische Kämpfe und ermöglichte eigenständige und gefestigte Positionen in den politischen Kämpfen gegen alle Formen von Herrschaft einzunehmen.

Es wäre also fatal, wenn sich die Kritik, wie in manchen feministischen Diskursen auf des häuslichen Bereich konzentriert blieben. (Hier assoziiert Bourdieu die  in den 1960er Jahren „falsche“ Kampagne einiger rauengruppierungen: Lohn für Hausarbeit“.)

 Die symbolische Gewalt – Konstanz und Wandel

Erstaunlich ist, wie die geschlechtlichen Strukturen gegenüber den ökonomischen Strukturen und die Reproduktionsweisen gegenüber den Produktionsweisen eine außerordentliche Autonomie besitzen.

„Dasselbe System von Klassifikationsschemata findet sich ja im wesentlichen über die Jahrhunderte und trotz immenser ökonomischer und gesellschaftlichrn Unterschiede an den beiden Extremen des Raums der anthropologischen Möglichkeiten, bei den Bergbauern der Kabylei und bei den englischen Großbürgern von Bloomsbury.[1]

Die geschichtliche Enthistorisierungsarbeit:

Das scheinbar Ewig-Währende in der Geschichte kann nichts anderes sein als das Ergebnis einer geschichtlichen Verewigungsarbeit. Das bedeutet nicht, dass es darum zu tun sein kann, das Dauerhafte und Invariante zu leugnen, das unzweifelhaft einen Teil der geschichtlichen Wirklichkeit ausmacht. Vielmehr gilt es die Geschichte der Enthistorisierung zu rekonstruieren oder die Geschichte der fortdauernden Wiederherstellung der objektiven und subjektiven Strukturen der männlichen Herrschaft, die sich seit es Männer und Frauen gibt, permanent vollzieht und durch die die männliche Herrschaft kontinuierlich von Generation zu Generation reproduziert wird.

Eine „Geschichte der Frauen“ die ein solches Ausmaß an Konstanz und Permanenz zum Vorschein bringen will, muss die Geschichte der Akteure und Institutionen, die in Permanenz daran mitwirken, diese Permanenz sicherzustellen: Kirche, Staat, Schule usf., und die sich in den verschiedenen Epochen nach Gewicht und Funktion unterscheiden, einen ganz besonderen Platz einräumen.[2] Sie kann sich nicht damit zufrieden geben, z.B. den Ausschluss der Frauen von diesem oder jenem Beruf, dieser oder jener Laufbahn oder Disziplin zu verzeichnen. Sie muss auch der Reproduktion (beruflichen, disziplinären usf.) Hierarchie und hierarchischen Dispositionen Rechnung tragen, die ihnen förderlich sind und die Frauen dazu bringen, zu ihrem Ausschluss von den Orten beizutragen, von denen sie auf jeden Fall ausgeschlossen sind.[3]

Ihre Aufgabe ist es auch, für jeden Zeitabschnitt den Zustand das Systems von Akteuren und Institutionen, Familie, Kirche, Staat, Schule zu erfassen, die zu verschiedenen Zeitpunkten, mit unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlichen Mitteln, dazu beigetragen, die männlichen Herrschaftsverhältnisse mehr oder weniger vollständig der Geschichte zu entziehen.

Der wirkliche Gegenstand einer Geschichte der zwischen-geschlechtlichen Beziehungen ist demnach die Geschichte der sukzessiven (…) Verbindungen von strukturellen Mechanismen (wie denen, die die Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung gewährleisten) und Strategien, welche über die Institutionen und einzelnen Akteure, die Struktur der Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern im Lauf einer überaus langen Geschichte und bisweilen um den Preis tatsächlicher oder scheinbarer Veränderungen auf Dauer gestellt haben.

Eine solche Geschichte zeigt, dass die Subordination der Frau sowohl in ihrer Einbeziehung in die Arbeit, wie im Großteil der vorindustriellen Gesellschaften, als auch umgekehrt mit ihrem Ausschluss von der Arbeit zum Ausdruck kommen kann, wie es nach der industriellen Revolution der Fall gewesen ist.

Mit der Trennung von Arbeitswelt und häuslicher Sphäre trat ein ökonomischer Bedeutungsverlust der Frauen der Bourgeoisie ein, die fortan durch die viktorianische Prüderie zum Kult der Züchtigkeit und der häuslichen Künste, Aquarell und Klavier, und auch, zumindest in den Ländern mit katholischer Tradition, zur mehr und mehr exklusiv weiblichen religiösen Praxis verurteilt waren.[4]

Die Geschichtswissenschaft fördert die transhistorischen Invarianten der Beziehung zwischen den „Geschlechten“ zutage. Sie sieht sich deshalb gezwungen die Geschichte zum Gegenstand der Beziehungen zu machen, die jene kontinuiertlich produziert und reproduziert, d.h. die konstante Differenzierungsarbeit, der die Männer und Frauen unaufhörlich unterworfen sind und die sie dazu bringt, sich zu unterscheiden, indem sie sich vermännlichen oder verweiblichen. Sie müsste sich insbesondere mit der Beschreibung und Analyse der, stets aufs Neue einsetzenden sozialen (Re-)Konstruktion der die „Geschlechter“ erzeugenden Auffassungs- und Einteilungsprinzipien sowie der verschiedenen Kategorien sexueller (namentlich heterogener und homosexueller) Praktiken befassen, stets dessen eingedenk, dass die Heterosexualität selbst gesellschaftlich konstruiert und zum allgemeinen Maßstab jeder „normalen“, d.h. Schändlichkeit des „Widernatürlichen“ entrissenen sexuellen Praxis erhoben wurde.[5]

Die Reproduktionsarbeit (der männlichen Herrschaft) wurde bis vor kurzem von drei Hauptinstanzen sichergestellt, von der Familie, der Kirche und der Schule, – die objektiv aufeinander abgestimmt – auf die unbewussten Strukturen eingewirkt haben. Die Hauptrolle bei der Reproduktion der männlichen Herrschaft und der männlichen Sicht fällt sicherlich der Familie zu. In ihr zwingt sich frühzeitig die Erfahrung der geschlechtlichen Arbeitsteilung und der legitimen Vorstellungen dieser Teilung auf, die in die Sprache eingraviert ist und vom Recht geschützt wird.

Was die Kirche angeht, so ist sie immer schon von dem tiefen Antifeminismus des Klerus erfüllt, der nur allzu bereit ist, alle weiblichen Verstöße gegen die Schicklichkeit, zumal was die Kleidung anbelangt, zu verurteilen. Sie ist der bestallte Reproduzent einer pessimistischen Sicht der Frauen und der Weiblichkeit und schärft (oder schärfte) explizit eine familialistische Moral ein, die vor allem von dem Dogma von der fundamentalen Unterlegenheit der Frauen gänzlich von patriarchalen Werten beherrscht ist. Vor allem durch die Symbolik der heiligen Texte, der Liturgie, wie auch des religiösen Raumes und der religiösen Zeit (die durch die Übereinstimmung der Struktur der liturgischen mit der des agrarischen Jahres gekennzeichnet ist) wirkt sie zudem eher in indirekter Weise auf die historischen Strukturen des Unbewussten ein. (…)[6]

Die Schule schließlich vermittelt nach wie vor, selbst wenn sie vom Einfluss der Kirche befreit ist, die Unterschiede, die die Grundvoraussetzungen der (auf der Homologie zwischen der Beziehung Mann/Frau und der Beziehung Erwachsener/Kind basierenden) patriarchalischen Vorstellungen bilden. Sie vermittelt vor allem diejenigen Unterschiede, die in ihren eigenen allesamt geschlechtlich konnotierten hierarchischen Strukturen verkörpert sind, die zwischen den verschiedenen Schulen oder Fakultäten, zwischen den („weichen“ oder „harten“ bzw., näher an der ursprünglichen mythischen Intuition, „trockenen“) Disziplinen und zwischen den Fächern, d.h. zwischen den Seinsweisen und Sichtweisen auch des eigenen Selbst, der eigenen Fähigkeiten und Neigungen bestehen – kurz, all das, was nicht nur dazu beiträgt, das äußere soziale Schicksal, sondern das Selbstbild zu formen.[7]

Gleichzeitig ist die Schule aufgrund der Widersprüche, die sie prägen und die sie induziert, eines der entscheidenden Prinzipien des Wandels in den zwischengeschlechtlichen Beziehungen.

Um der Vollständigkeit willen, muss die Rolle des Staates einbezogen werden.

Er hat die Vorschriften und Verbote des privaten Patriarchats durch die eines öffentlichen Patriarchats ratifiziert und vermehrt, das in allen Institutionen verkörpert ist, die für die Regelung und Verwaltung der Alltagsexistenz der häuslichen Einheit zuständig sind. (…) Die modernen Staaten (haben) dem Familienrecht und ganz speziell den Regeln, die den Personenstand der Bürger definieren und die Steuergesetzgebung geschaffen, die fundamentalen Prinzipien der androzentrischen Sicht eingeprägt.

Die grundlegende Ambiguität des heutigen Staates rührt zu einem Großteil daher, dass er mit dem Gegensatz zwischen den fiskalisch orientierten und den „ausgabefreudigeren“ Ministerien, zwischen seiner paternalistischen/ familialistischen und protektionistischen rechten Hand und seiner sozial orientierten linken Hand, die archetypische Teilung von männlich und weiblich in seiner eigenen Struktur reproduziert – wobei die Frauen, als Mandatsträger wie als privilegierte Adressaten seiner Zuwendungen und Dienstleistungen, dem Sozialstaat eng verbunden sind.[8]

 Die Faktoren der Veränderung

Dass die männliche Herrschaft sich nicht mehr mit der Evidenz dessen, was sich von selbst versteht, aufzwingt, ist wohl die wichtigste Veränderung.

Die Infragestellung der Selbstverständlichkeiten geht einher mit tiefgreifenden Veränderungen der Situation der Frau, insbesondere in den begünstigenden sozialen Kategorien: Hierzu zählt etwa der erweiterte Zugang zu Gymnasien und Hochschulen wie auch zur bezahlten Arbeit und damit zur öffentlichen Sphäre. Hierzu zählt auch die (mit den Fortschritten der Verhütungstechniken und deren allgemeiner Nutzung sowie der reduzierten Familiengröße zusammenhängenden) gewachsene Distanz zu den häuslichen Tätigkeiten und den Reproduktionsfunktionen, vor allem in Verbindung mit einem höheren Heirats- und Fortpflanzungsalter, einer kürzeren Unterbrechung der Berufstätigkeit nach der Geburt eines Kindes und schließlich einer steigenden Scheidungs- und Heiratsrate – folglich wichtigste Veränderung: ökonomische Unabhängigkeit und Strukturwandel der Familie.[9]

Gewiss tendiert die Trägheit des Habitus und des Rechts dazu, ungeachtet aller Umgestaltungen der realen Familie das herrschende Modell der Familienstruktur und zugleich der „legitimen Sexualität“, heterosexuell und reproduktionsorientiert, zu perpetuieren, an dem die Sozialisation und damit die Vermittlung der traditionellen Teilungsprinzipien sich stillschweigend ausrichten.

Gleichwohl trägt das Auftauchen neuer Familienformen, wie der zusammengesetzten Familien und neuer (vor allem homosexueller) Modelle von Sexualität in der öffentlichen Wahrnehmung dazu bei, die doxa zu entkräften und den Raum der Möglichkeiten in Sachen Sexualität zu erweitern.

Desgleichen konnte selbstverständlich die wachsende Zahl arbeitender Frauen die häusliche Aufgabenverteilung nicht unberührt lassen, was für den Erwerb geschlechtlich differenzierter Dispositionen in der Familie gewiss ein folgendreicher Umstand ist. So hat man festgestellt, daß Töchter von arbeitenden Müttern höhere Karriereansprüche und dem traditionellen Familienmodell weniger verhaftet sind.

Aber eine der wichtigsten Veränderungen in der Situation der Frauen und einer der maßgeblichen Faktoren für die Umgestaltung ist ohne jeden Zweifel der vermehrte Zugang der Mädchen zu Gymnasial- und Hochschulunterricht – in Verbindung damit Transformationen der produktiven Strukturen (insbesondere der Entwicklung der großen öffentlichen oder privaten Verwaltungen und neuen Sozialtechnologien in der Personalpolitik) die Position der Frau in der (gesellschaftlichen) Arbeitsteilung erheblich verändert: so lässt sich feststellen, dass Frauen nun in den intellektuellen Berufen oder in der Verwaltung und den verschiedenen Formen des symbolischen Dienstleistungsgewerbes – Journalismus, Fernsehen, Kino, Radio, Werbung, Public Relations, Ausstattung – erheblich häufiger und auch in den der traditionellen Definition der weiblichen Tätigkeiten nahen Berufen (im Unterrichtswesen, in der Sozialhilfe und bei den medizinischen Hilfstätigkeiten) in noch stärkerem Maße als bisher tätig sind. Das heißt, dass die Diplomierten ihre Hauptbeschäftigungsmöglichkeiten in den mittleren intermediären Berufen (mittlere Verwalungsangestelltentätigkeiten gefunden haben, dass sie aber von den Posten mit Autorität und Verantwortung, insbesondere in der Wirtschaft, dem Finanzwesen und der Politik, nach wie vor noch immer ausgeschlossen bleiben.[10]

Die sichtbaren Veränderungen der Lage verdecken das an den relativen Positionen Unveränderte: Die Angleichung der Zugangschancen und Häufigkeitsraten darf über die fortbestehende Ungleichheit in der Verteilung auf die verschiedenen Schulzweige und damit die möglichen Laufbahnen nicht hinwegtäuschen: Wenn auch mehr Mädchen Abitur machen und studieren als Jungen, so sind sie doch in den angesehensten und gefragtesten Fachrichtungen weit weniger und in den naturwissenschaftlichen relativ schwach vertreten, wogegen ihr Anteil in den literaturwissenschaftlichen fächern zunimmt. Desgleichen beschränken sie sich auf den Berufsfachoberschulen auf die traditionell als „weiblich“ und als wenig qualifiziert geltenden Fächer (im Gesundheitswesen und als Verwaltungs- und kaufmännische Angestellte, als Sekretärinnen usf.), während bestimmte Fächer, wie Mathematik, Elektrotechnik und Elektronik) praktisch den Jungen vorbehalten bleiben.

Dieselben Ungleichheiten existieren an den wissenschaftlichen Hochschulen: An den medizinischen Fakultäten nimmt der Anteil der Frauen in einem Fach mit dessen höheren Rang in der Fächerhierarchie ab, so dass ihnen einige Fächer, wie die Chirurgie, praktisch verwehrt, andere hingegen, die Gynäkologie oder Kinderheilkunde faktisch vorbehalten bleiben (dies ist heutzutage nicht mehr so ausgeprägt. J.K.)

Wie man sieht, erhält sich die Struktur in homologen Gegensatzpaaren der traditionellen Teilungen, wie dem Gegensatz von Elitehochschulen (insbesondere in Frankreich, J.K.) und Universitäten, oder innerhalb dieser, von juristischen bzw. medizinischen und philosophischen Fakultäten oder, innerhalb letzterer, von Philosophie oder Soziologie und Psychologie oder Kunstgeschichte. Es ist bekannt, dass dasselbe Teilungsprinzip auch innerhalb einer jeden Disziplin gilt und den Männern das eher Vornehme geltende, Synthetische, Theoretische und den Frauen das eher das Analytische, Praktische, weniger „Brilliante“ zuweist.

Dieselbe Logik regelt den Zugang zu den verschiedenen Berufszweigen und den unterschiedlichen Positionen innerhalb derselben. In der Arbeit wie in der Erziehung dürfen die Fortschritte der Frauen nicht über die jeweiligen Vorsprünge der Männer hinwegtäuschen. Das schlagendste Beispiel für diese Permanenz im und durch Wandel ist die Tatsache, dass die zunehmend von Frauen eingenommenen Positionen entweder bereits abgewertet (Facharbeiter sind mehrheitlich Immigrantinnen oder Frauen) oder in Abwertung begriffen sind, was wie bei einem Schneeballeffekt durch die Abwanderung der Männer noch verstärkt wird. Und obwohl Frauen auf allen Ebenen des sozialen Raumes anzutreffen sind, sind ihre Zugangschancen (und ihre Zahlen) um so geringer, je seltener und gefragter die Positionen sind (so dass der aktuelle und potentielle Frauenanteil wohl das beste Indiz für die relative Position und den relativen Wert der verschiedenen Berufe ist. (An deutschen Hochschulen verhalten sich die Zahlen von 8921 Professorinnen zu 34.861 Professoren (WZBerlin 2015)).

So verschleiert die formelle Gleichheit von Männern und Frauen tendenziell auf jeder Ebene, dass die Frauen bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden. Zwar sind die Frauen in der öffentlichen Verwaltung immer stärker vertreten, doch nur in den niedrigsten und unsichersten Positionen. (Sie stellen einen Großteil der Nichtgraduierten und Teilzeitbeschäftigten, und in der lokalen Verwaltung etwa werden ihnen die subalternen Hilfs- und Pflegepositionen zugewiesen – Putzfrauen, Kantinenangestellte, Kinderpflegerinnen usf.)

Der beste Beweis für die Statusunsicherheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist sicher die Tatsache, dass sie bei gleichen Voraussetzungen stets schlechter bezahlt werden als Männer, dass sie bei gleichen Diplomen niedrigere Stellen erhalten und dass sie proportional stärker von Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen betroffen sind und eher auf Teilzeitstellen verwiesen werden.

All dies hat unter anderem ihren beinahe unvermeidlichen Ausschluss von den Spielen der Macht und Karriereperspektiven zur Folge.

Da sie in enger Beziehung zum Sozialstaat und zu den „sozialen“ Positionen im Bereich der Bürokratie wie auch den durch die Destabilisierungspolitik verwundbarsten Sektoren der Privatwirtschaft stehen, sind sie in erster Linie sie die Opfer der neoliberalen, auf die Restriktion der sozialen Dimension des Staates und die „Deregulierung“ des Arbeitsmarktes gerichteten Politik sein.

Um ein angemessenes Verständnis der statistischen Verteilung von Befugnissen und Privilegien zwischen Männern und Frauen und ihrer zeitlichen Entwicklung zu erlangen, muss man gleichzeitig zwei Eigenschaften berücksichtigen, die auf den ersten Blick im Widerspruch zueinander zu stehen scheinen:

Einerseits ist allen Frauen gemeinsam, was auch immer ihre Position im sozialen Raum sein mag, dass sie von den Männern durch einen negativen symbolischen Koeffizienten getrennt sind, der wie die Hautfarbe bei den Schwarzen oder jedes andere Merkmal der Zugehörigkeit zu einer stigmatisierten Gruppe, alles was sie sind und alles was sie tun, negativ affiziert ist und der einem systematischen Ganzen homologer Unterschiede zugrunde liegt: trotz den unermesslichen Abstandes gibt es etwas gemeinsames zwischen der Generaldirektorin, die sich jeden Morgen massieren lassen muss, um die Kraft aufzubringen, die mit der Ausübung von Macht über Männer verbundene Spannung auszuhalten, und der Hilfsarbeiterin, in der Metallindustrie, die in der Solidarität mit den Kolleginnen Stärkung suchen muss, um die mit der männlichen Umgebung verbundenen Prüfungen, wie die sexuelle Belästigung, oder ganz einfach die Beschädigung ihres Selbstbildes und ihrer Selbstachtung durch die von den Arbeitsbedingungen verursachte Hässlichkeit und Schmutzigkeit zu ertragen.

Andererseits bleiben die Frauen trotz der sie einander annähernden spezifischen Erfahrungen (wie dieses unendlich Kleine der Herrschaft, die von der männlichen Ordnung zugefügten zahllosen, oft unterschwelligen Verletzungen) durch die ökonomischen und Kulturellen Unterschiede voneinander getrennt. Diese wirken sich unter anderem auf die objektive und subjektive Art und Weise aus, wie sie die männliche Herrschaft erfahren und erleiden ohne deswegen all das zu annullieren, was mit der Unterbewertung ihres symbolischen Kapitals, die die Weiblichkeit mit sich bringt, verbunden ist.[11]

Ansonsten gehorchen die Veränderungen in der Situation der Frauen stets der Logik des traditionellen Modells der Teilung in männlich und weiblich. Die Männer beherrschen nach wie vor den öffentlichen Raum und das Feld der Macht (insbesondere der ökonomischen über die Produktion). Den Frauen hingegen wird (jedenfalls überwiegend) der private (häusliche, für die Reproduktion bestimmte) Raum zugewiesen, wo die Logik der Ökonomie der symbolischen Güter fortwirkt, oder sie sind für jene Arten dieses Raumes vorgesehen, wie es die pädagogischen und sozialen Dienste (vor allem im Krankenhaus- und Pflegebereich) oder auch die Bereiche der symbolischen Produktion (der literarische, kunsthistorische oder journalistische Bereich) sind.

Wenn die alten Strukturen der geschlechtlichen Teilung immer noch Richtung und Form der Veränderungen zu bestimmen scheinen, so zum einen deshalb, weil sie in mehr oder minder stark geschlechtlichen konnotierten Karrieren und Stellen objektiviert sind; zum anderen deshalb, weil sie sich in drei praktischen Prinzipien niederschlagen, bei denen sich die Frauen, aber auch deren Umgebung leiten lassen. 1.) liegen die den Frauen angemessenen Funktionen auf einer Verlängerungslinie der häuslichen Funktionen: Unterricht, Pflege, Dienst.

  • kann es für eine Frau nicht in Betracht kommen, Männern gegenüber weisungsbefugt zu sein, so dass sie alle Aussichten hat, dass ihr bei der Besetzung einer Autoritätsposition ein Mann vorgezogen wird und sie auf untergeordnete Hilfsfunktionen beschränkt bleibt. Dem Mann wird das Monopol des Umgangs mit technischen Gegenständen und Maschinen verliehen.
  • Wenn man weibliche Jugendliche nach ihren Schulerfahrungen fragt, ist man immer wieder von der maßgeblichen Rolle der Ratschläge und Einschärfungen seitens der Eltern, Lehrer, Berufsberater oder Mitschülern verblüfft, die sie unaufhörlich, stillschweigend oder ausdrücklich, an das ihnen durch das traditionelle Einteilungsprinzip zuteil gewordene Los erinnern. In vielen Fällen ist zu beobachten, dass die Lehrer der naturwissenschaftlichen Fächer Mädchen weniger fordern und fördern als Jungen und dass Eltern wie Lehrer und Berufsberater „in ihrem eigenen Interesse“ von bestimmten, für männlich erachteten Berufen abbringen.

Ein Großteil schulden diese „Ordnungsrufe“ dem Umstand, dass eine ganze Reihe früher Erfahrungen, insbesondere beim Sport, wo es bei vielen Gelegenheiten zu Diskriminierungen kommt, die Mädchen darauf vorbereitet hat, diese Empfehlungen in Form von „Antizipationen“ zu akzeptieren und die herrschende Sicht zu verinnerlichen.

Die Erfahrungen einer geschlechtlich geregelten Ordnung … inkorporieren die Mädchen (nicht nur die Mädchen auch die Jungen) in Form von Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien, die Prinzipien der herrschenden Sichtweise, die für das Bewusstsein nur schwer zugänglich sind. Und diese bringen speziell die Mädchen dazu, die soziale Ordnung, so wie sie ist, für normal oder gar natürlich zu halten und ihrem Schicksal gleichsam zuvor zu kommen, indem sie die Berufswege oder Laufbahnen, von denen sie auf alle Fälle ausgeschlossen sind, ablehnen und diejenigen anstreben, für die sie auf jeden Fall bestimmt sind. Die daraus resultierende Konstanz der Habitus ist eine der wichtigsten Faktoren für die relative Konstanz der Struktur der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Da die Vermittlung dieser Prinzipien im wesentlichen von Körper zu Körper und d.h. jenseits von Bewusstsein und Diskurses erfolgt, entziehen sie sich der bewussten Kontrolle und damit der Korrektur oder Veränderung. (…) Zudem verstärken sich diese Prinzipien gegenseitig, da sie objektiv aufeinander abgestimmt sind..[12] Überdies kann man annehmen, (auch wenn man sich davor hüten sollte, den Männern organisierte Widerstandsstrategien zu unterstellen,) dass die Spontanlogik der Kooptationakte … in einer diffusen und stark gefühlsbeladenen Angst vor Gefahr wurzelt, die von der Feminisierung für die Seltenheit und damit den Wert einer sozialen Position und gewissermaßen auch für die geschlechtliche Identität von deren Inhabern ausgeht. Die Heftigkeit bestimmter emotionaler Reaktionen auf den Eintritt von Frauen in diesen oder jenen Beruf wird begreiflich, wenn man weiß, dass die sozialen Positionen vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend sind und dass die Männer, wenn sie ihre Stellen gegen den Eintritt von Frauen verteidigen, ihre grundlegende Vorstellung von sich selbst zu schützen suchen.

Die Ökonomie der symbolischen Güter und die Reproduktionsstrategien

Ein anderer entscheidender Faktor für die Perpetuierung der Unterschiede ist die Dauerhaftigkeit, die die Ökonomie der symbolischen Güter (von der die Heirat ein Kernstück ist) ihre relative Autonomie verdankt. Sie erlaubt es der männlichen Herrschaft, sich über alle Transformationen hinweg zu behaupten, und zwar auch schon durch die ständige und ausdrückliche Unterstützung der Familie ¨C die wichtigste Hüterin des symbolischen Kapitals – von den Kirchen und dem Recht erhält. Die legitime Ausübung der Sexualität bleibt, wiewohl sie mehr und mehr von der Heiratspflicht befreit erscheinen mag, auf die Übertragung des Erbes durch Heirat zu- und ihr untergeordnet, die nach wie vor einer der legitimen Wege des Vermögenstransfers ist. Die bürgerlichen Familien investieren weiterhin in die Reproduktionsstrategien, vor allem die Heiratsstrategien, die auf die Wahrung und Mehrung ihres symbolischen Kapitals zielen. Und das weitaus mehr als die Adelsfamilien des Ancien régime, weil die Behauptung ihrer Stellung unmittelbar von der Reproduktion ihres symbolischen Kapitals durch die Produktion von Erben abhängt, die den Fortbestand des Gruppenerbes und die Gewinnung von gesellschaftlich angesehenen Verbündeten sichern können. Noch im modernen Frankreich bestimmen die Dispositionen des männlichen point d’honneur nach wie vor die öffentlichen Aktivitäten der Männer, vom Duell bis zur Höflichkeit oder dem Sport. Das ist darauf zurückzuführen, wie in der Kaylischen Gesellschaft nur die Tendenz der (bürgerlichen) Familie zum Ausdruck bringen und realisieren, ihren fortbestand durch Reproduktionsstrategien zu sichern, die ihnen die Logik der Ökonomie der symbolischen Güter aufzwingt. Dies stellt, zu mal im Bereich der häuslichen Ökonomie, weiterhin ihre spezifischen Anforderungen, die sich von denen deer offen ökonomischen Ökonomie des Geschäftslebens unterscheiden.

Ihren Ausschluss von der Sphäre, in der es um die ernsten Dinge des Lebens, die öffentlichen und zumal die wirtschaftlichen Angelegenheiten, geht, hat die Frauen lange Zeit auf den häuslichen Bereich und die mit der biologischen und sozialen Reproduktion der Linie zusammenhängenden Tätigkeiten eingeengt. Selbst wenn diese Tätigkeiten dem Anschein nach anerkannt und bisweilen rituell zelebriert werden, bleiben sie den einzig ökonomisch und sozial wirklich sanktionsfähigen Produktionstätigkeiten untergeordnet und auf die materiellen und symbolischen Interessen der Linie, d.h. der Männer ausgerichtet. Daher hat auch heute noch in vielen Milieus ein bedeutender Teil der den Frauen zufallenden Hausarbeit die Wahrung der Solidarität und Integration der Familie durch die Pflege der verwandtschaftlichen Beziehungen und die Erhaltung des sozialen Kapitals durch die Entfaltung einer ganzen Reihe sozialer Aktivitäten zum Ziel.

Die häusliche Arbeit findet im wesentlichen keine Beachtung oder sie ist (man denke nur an die rituelle Bloßstellung der weiblichen Vorliebe für den Schwatz, besonders am Telefon …) schlecht angesehen. Dort aber, wo sie sich dem Blick aufzwingt, wird sie durch Einordnung in den Bereich der Innerlichkeit, der Moral, des Gefühls in ihrem Realitätsgehalt herabgesetzt, was ihr nicht lukrativer und „zweckfreier“ Charakter erleichtert. Der Umstand, dass die häusliche Arbeit der Frauen kein Äquivalent in Geld hat, trägt in ihren eigenen Augen zu deren Abwertung bei, so als ob dieser Zeit ohne Marktwert bedeutungslos wäre und ohne Gegenleistung und ohne Grenzen verausgabt werden könnte. Zuerst für die Familienmitglieder und vor allem für die Kinder (die Eigenzeit der Mutter wird weniger respektiert), dann aber auch für ehrenamtliche Tätigkeiten, in der Kirche, In Wohltätigkeitsorganisationen und mehr und mehr in verbänden und Parteien. Da Frauen oft mit unbezahlten Tätigkeiten vorliebnehmen müssen und daher weniger in Begriffen der Äquivalenz von Arbeit und Geld denken, sind sie weitaus häufiger als Männer zur insbesondere religiösen und karitativen Ehrenamtlichkeit disponiert.

Genauso wie die Frauen in den weniger differenzierten Gesellschaften als Tauschmittel behandelt wurden, die den Männern die Akkumulation sozialen und symbolischen Kapitals durch Heiraten gestatten – diese wirklichen Investitionen, die mehr oder weniger weitreichende Bündnisse zu schließen erlauben -, genauso leisten sie heute einen entscheidenden Beitrag zur Produktion und Reproduktion von symbolischen Kapitals. Und zwar in erster Linie, indem sie durch all das, was zu ihrer äußeren Erscheinung beiträgt, Kosmetik, Kleidung, Haltung usf. das symbolische Kapital der häuslichen Gemeinschaft in Erscheinung treten lassen. Daher werden sie der Sphäre des Scheins, des Gefallens zugeordnet. Die soziale Welt funktioniert (in einem je nach Bereich unterschiedlichen Ausmaß) wie ein von der männlichen Sicht dominierter Markt der symbolischen Güter. Sein ist, wenn es sich um Frauen handelt, Wahrgenommenwerden, und zwar von einem männlichen Auge, das von männlichen Kategorien beherrscht wird. …

Das Wesentliche der weiblichen Dispositionen klärt sich aus der Stellung der Frauen auf dem Markt der symbolischen Güter: Jede soziale Beziehung ist in bestimmter Hinsicht der Ort eines Austausches, an dem ein jeder seine wahrnehmbare Erscheinung der Bewertung aussetzt. Der Anteil nun, der in diesem Wahrgenommenwerden dem Körper zukommt, wenn man ihn auf das reduziert, was man zuweilen „das Körperliche“ (potenziell sexualisierte) nennt, ist im Verhältnis zu weniger unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften wie der Sprache bei der Frau größer als bei dem Mann. Während bei den Männern Kosmetik und Kleidung den Körper hinter sozialen Zeichen der sozialen Position (Ehrenzeichen, Uniform etc.) zurücktreten lassen sollen, tendieren sie bei den Frauen dazu, ihn (den Körper) zu verherrlichen und zur Sprache der Verführung zu machen. Das erklärt, warum die Investitionen (an Zeit, Geld, Energie usf.) in die kosmetische Arbeit bei der Frau sehr viel größer sind.

Da sie derart sozial darauf eingestimmt sind, sich selbst als ästhetische Objekte zu behandeln, bringen die Frauen allem, was mit der Schönheit, der Eleganz des Körpers, der Kleidung, des Auftretens zu tun hat, ständige Aufmerksamkeit entgegen. In der häuslichen Arbeitsteilung übernehmen sie dementsprechend ganz selbstverständlich alles, was zur Ästhetik und außerdem zur Gestaltung des sozialen Images und des öffentlichen Erscheinungsbildes der Familienmitglieder gehört, natürlich der Kinder, aber auch des Ehemannes, der sehr oft die Wahl seiner Kleidung an sie delegiert. Sie sind es auch, die für das Dekor des Alltags, des Hauses und seiner Innenausstattung, den Anteil der Zweckmäßigkeit ohne Zweck Sorge tragen, für den dort, selbst bei den Benachteiligtsten, stets Raum ist.

Da die Frauen das symbolische Kapital der Familien verwalten, sind sie folgerichtig dazu berufen, diese Rolle auf den Unternehmensbereich zu übertragen. Dort wird fast immer von ihnen verlangt, die Tätigkeiten der Präsentation, der Repräsentation und des Empfangs (s. die verschiedensten Hostessen und Begleiterinnen usf.) aber auch die Gestaltung der großen bürokratischen Rituale zu übernehmen, die wie die häuslichen Rituale zur Erhaltung und Mehrung des sozialen Kapitals an Beziehungen und des symbolischen Kapitals beitragen.

Die Macht der Struktur

… das Phantasiegebilde vom „ewig Weiblichen“ muss zerstört werden, mit dem Ziel, die Konstanz der Struktur der zwischen den Geschlechter bestehenden Herrschaftsbeziehungen zum Vorschein zu bringen, die ungeachtet der zeit- und positionsbedingten substantiellen Veränderungen der Lage bestehen bleibt.

Die Feststellung der transhistorischen Konstanz der Herrschaftsbeziehungen ist nun keineswegs, die man mitunter zu befürchten vorgibt, mit einem Enthistorisierungs- und damit einem Naturalisierungseffekt verbunden.

Sie nötigt vielmehr zu einer Umkehrung der üblichen Problemstellung, die sich auf die Feststellung der sichtbaren Veränderungen in der Lage der Frauen stützt: Sie zwingt die stets ignorierte Frage auf, nach der stets aufs neue einsetzenden Arbeit, die nötig ist, um die männliche Herrschaft der Geschichte zu entreißen, als auch nach den geschichtlichen Mechanismen und Handlungen zu stellen, die für ihre augenscheinliche Enthistorisierung verantwortlich sind und die jede Politik einer geschichtlichen Umgestaltung, will sie sich nicht zur Ohnmacht verurteilen, kennen muss.

Die Dualismus sind tief in den Dingen (Strukturen) und den Körpern verankert und nicht aus einem bloßen Bennennungseffekt hervorgegangen und können daher nicht auch durch einen Akt performativer Magie aufgehoben werden.

Die Geschlechtern sind alles andere als bloße „Rollen“, die man nach Belieben zu spielen vermöchte, denn sie sind in die Körper und ein Universum eingeprägt und beziehen daraus ihre Macht. Es ist die Geschlechterordnung, auf der die performative Wirksamkeit der Worte – und ganz besonders der Beleidigungen – gründet; und sie ist es auch, die gegen die pseudorevolutionäre Umdefinition des subversiven Voluntarismus resistent ist.

Foucaults Geschichte der Sexualität fragt nach dem, was uns von der griechischen und römischen Antike unterscheidet. Dort hätte man, wie er sagt, größte Mühe, „einen Begriff zu finden, der dem der ‚Sexualität’ und dem des ‚Fleisches’ entspräche“, d.h. „einen Begriff, der sich auf eine einzige Entität bezieht und mannigfache und anscheinen weit voneinander entfernte Phänomene zusammenfasst: Verhaltensweisen, aber auch Empfindungen, Bilder, Begehren, Instinkte, Leidenschaft.“ (M. Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 2, Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1986, S.49)

Die Sexualität, wie wir sie verstehen, ist in der Tat eine geschichtliche Erfindung, aber eine, die nach und nach in dem Maße gemacht wurde, wie sich der Differenzierungsprozess der verschiedenen Felder und ihrer spezifischen Logiken vollzog. So war es als erstes erforderlich, dass vergeschlechtlichte (und nicht geschlechtliche) Teilungsprinzipien, das den fundamentalen Gegensatz der mythischen Vernunft bildete, nicht mehr auf die gesamte – physische wie politische – Weltordnung angewendet wurde und wie etwa bei den Vorsokratikern die Grundlagen der Kosmologie definierte: Die Herausbildung eines separaten Bereichs von sexuellen Praktiken und Diskursen ist nicht zu trennen vom fortschreitenden Auseinandertreten der mythischen Vernunft, mit ihren vieldeutigen und verschwommenen Analogien, und der logischen Vernunft, die aus der Diskussion im Umfeld einer Schule hervorgegangen und allmählich (insbesondere bei Aristoteles) die Analogie selbst zum Gegenstand der Analyse macht.

Das Auftauchen der Sexualität als solche ist gleichfalls untrennbar mit der Entstehung eines Ganzen von (religiösen, juristischen, bürokratischen) Bereichen und dem Auftreten von Akteuren verbunden, die um das Monopol der legitimen Definition der sexuellen Praktiken und Diskurse konkurrieren und deren es gelingt, diese Definition vor allem durch die Familien und die familialistische Sicht, in den Praktiken durchzusetzen.

Die Schemata des vergeschlechtlichten Unbewussten sind keine „grundlegenden strukturierenden Alternativen“(Goffmann), sondern hochdifferenzierte geschichtliche Strukturen. Indem sie aus einem seinerseits hochdifferenzierten sozialen Raum hervorgegangen sind, reproduzieren sie sich durch Lernprozesse, in denen Erfahrungen verarbeitet werden, die die Akteure mit den Strukturen dieser Räume machen. Die Eingliederung in die verschiedenen Felder, welche nach Gegensätzen (stark/schwach, groß/klein, schwer/leicht, dick/dünn, angespannt/locker, hard/soft usf.) organisiert sind, die stets zu der basalen Unterscheidung von männlich und weiblich und den sekundären Alternativen (herrschend/beherrscht, oben/untern, aktiv-penetrieren/passiv-penetriert werden), in denen diese sich ausdrückt, in einer Homologiebeziehung stehen (vgl. Foucault, a.a.O. S.273), geht so mit der Einprägung einer Reihe von vergeschlechtlichen Gegensätzen, die einander und dem Grundgegensatz homolog sind, in die Körper einher.

Die in die soziale Struktur der verschiedenen Felder eingezeichneten Gegensätze fungieren als Stütze der kognitiven Strukturen, der praktischen, häufig in einem System von Adjektiven festgehaltenen Taxonomien, die die Produktion von ethischen, ästhetischen, kognitiven Urteilen erlauben.

Im Universitären Bereich ist das z.B. der Gegensatz zwischen den zeitweise dominanten Disziplinen Jura und Medizin und den zeitweise dominierten, den Natur- und Geisteswissenschaften, und innerhalb dieser ist es der Gegensatz zwischen den Naturwissenschaften mit allen, was auf der Seite des hard steht, und den Geisteswissenschaften, d.h. dem soft. Innerhalb dieser wiederum ist es der Gegensatz zwischen der Soziologie, die auf der Seite der Agora und der Politik angesiedelt ist, und der Psychologie, die wie die Literatur der Innerlichkeit zum Gegenstand hat. Schließlich ist es im Feld der Macht der Gegensatz zwischen den Managern in Industrie und Handel und den Intellektuellen. So krass in der Objektivität der Praktiken und der Eigenschaften ausgeprägt, ist er ebenso in die Köpfe in Form von expliziten oder impliziten Taxonomien eingezeichnet. (Der Intellektuelle (ist) in den Augen des „Bourgeois“ ein Wesen, das über lauter Eigenschaften, mangelnden Realismus, Weltfremdheit, Unverantwortlichkeit, verfügt, die auf der Seite des Weiblichen angesiedelt sind. … Diese speziellen Gegensätze schnüren den Geist auf mehr oder weniger unmerkliche Weise ein, ohne sich jemals in ihrer Einheit und Wahrheit, d.h. als ebenso viele Facetten ein und derselben Struktur geschlechtlicher Herrschaftsbeziehungen, erfassen zu lassen.

Die Strukturkonstanten und die Reproduktionsmechanismen dieser Art von Herrschaft, deren Besonderheit es ist, auf ganz unterschiedlichen Ebenen, in allen sozialen Räumen, von den engsten, wie den Familien, bis zu den ausgedehntesten bestehen zu können, lassen sich nur unter der Bedingung erfassen, dass man das Ganze von Orten und Formen ihrer Ausübung zusammenhält. (z.B.) Die sichtbarsten Veränderungen der Situation der Frauen verdecken das Fortbestehen der unsichtbaren Strukturen. Diese kann einzig ein relationales Denken (d.h.in Beziehung setzen, J.K.) zutage fördern, das die häusliche Ökonomie, also die für sie charakteristische Teilung der Arbeit und die Befugnisse zu den verschiednen Sektoren des Arbeitsmarktes (den Bereichen), in denen die Menschen tätig sind, in Beziehung setzt, anstatt wie üblich die Aufgaben und vor allen die Rangverteilung unter den Geschlechtern in der häuslichen und der außerhäuslichen Arbeit isoliert zu betrachten.

Die Wahrheit der strukturellen Beziehungen der geschlechtlichen Herrschaft ist z.B. daran klar erkennbar, das die in sehr hohe Positionen aufgestiegenen Frauen (leitende Angestellte, Ministerialdirektorin usf.) ihren beruflichen Erfolg mit geringerem „Erfolg“ im häuslichen Bereich (Scheidung, späte Heirat, Ehelosigkeit, Schwierigkeiten oder Fehlschläge mit Kindern usf.) … bezahlen müssen. Sie zeigt sich genauso deutlich im umgekehrten Fall, wo der Erfolg im häuslichen Bereich häufig mit einem partiellen oder völligen Verzicht auf den großen beruflichen Erfolgt erkauft wird (insbesondere durch das Akzeptieren von „Vorteilen“ wie der Halbtagsbeschäftigung, die den Frauen nur deshalb so bereitwillig zugestanden werden, weil sie durch deren Annahme aus dem Wettlauf um die Macht ausscheiden). Nur unter der Bedingung, dass man die Zwänge berücksichtigt, die die Struktur des aktuellen oder potentiellen häuslichen Raumes auf die Struktur des beruflichen Raumes (etwa durch die Vorstellung von einem notwendigen, unvermeidlichen oder akzeptablen Abstand zwischen der Position des Ehemannes und der der Ehefrau) ausübt, kann man die Homologie (<Übereinstimmung in der Unterschiedlichkeit>) zwischen den Strukturen der männlichen und denen der weiblichen Positionen in den verschiedenen sozialen Räumen verstehen. …

Dieses Inbeziehungsetzen macht es erklärlich, warum sich dieselbe Herrschaftsbeziehung in unterschiedlichen Formen an den verschiednen Tätigkeiten von Frauen beobachten lässt, ob es sich um den hingebungsvollen und unentgeltlichen Einsatz der Frauen der Wirtschafts- und Finanzbourgeoisie für ihr Haus und ihre Wohltätigkeitsaktivitäten handelt oder um den ergebenen und „entgoltenen“ Einsatz der Hausangestellten oder, dazwischen, auf der Ebene des Kleinbürgertums, um eine Lohnarbeit im Angestelltenverhältnis, die fast immer zweitrangig, die Arbeit des Mannes ergänzt und mit ihr vereinbar ist.

Die Struktur der männlichen Herrschaft ist das letzte Prinzip all dieser unzähligen einzelnen Beziehungen von Herrschaft und Unterwerfung. Diese Beziehungen, die der Position der Akteure im sozialen Raum entsprechend der Form nach, manchmal außerordentlich und deutlich sichtbar, verschiedenen aber homolog und daher durch Familienähnlichkeit verbunden sind, trennen und vereinen die Männer und Frauen in einem jeden der sozialen Universen und lassen damit die „mystische Demarkationslinie“ von der Virginia Woolf sprach, zwischen ihnen fortgestehen.

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[1]       . S.142, Bourdieu bezieht sich hier auf Texte von Virginia Woolf; hier speziell auf die Erzählungen „zum Leuchtturm“ und „Mrs. Dallaway. In beiden Erzählungen (ebenso wie in anderen auch) wird das Geschlechterverhältnis von Virginia Woolf sehr genau beschrieben.

[2]   Ebenda S. 145

[3]       . Wie z,B. Das Schulsystem zur Reprodution der Unterschiede nicht nur zwischen den sozialen Kategorien, sondern auch zwischen den Geschlechtern beiträgt.

[4]   Bourdieu, a.a.O, S. 146

[5]   Ebenda, S. 147; Man weiß, vor allem durch das Buch von Goerge Chauncey, Gay New York, daß das Aufkommen des Gegensatzes von Heterosexualität und Homosexualität jüngsten Datum ist und daß sich wohl erst noch dem Zweiten Weltkrieg die Heterosexualitätmoder Homosexualität als ausschließliche Wahl aufzwang. Bis dahin haben viele Männer von einem männlichen zu einem weiblichen Partner gewechselt…..

[6]   Die starke Betonung der rolle der Kirche rührt sicherlich von Bourdieu’s Erfahrungen und Beobachtungen in dem immer noch relativ stark vom Katholizismus geprägten Frankreich.

[7]   Bourdieu ebenda S.150

[8]   Ebenda, S. 153

[9]   Ebenda, S.155

[10] a.a.O., S. 157

[11] Bourdieu a.a.O, S.162

[12] Bourdieu, a.a.O, S. 165

Ein Kommentar zu „Die Struktur männlicher Herrschaft

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